Leitlinien für die biodiversitätsfreundliche Gestaltung von Lebensräumen im Offenland und Siedlungsbereich

Der Rückgang der Artenvielfalt muss gestoppt werden. Um dieses Ziel und eine spürbare Erholung der Artenvielfalt in Bayern – insbesondere der Insekten – zu erreichen, ist es nötig, möglichst viele Flächen ökologisch aufzuwerten. Die folgenden Grundsätze und Merkmale biodiversitätsfreundlicher Gestaltung von Lebensräumen helfen dabei.

Jeder Lebensraum zählt

Bayern weist eine Vielzahl regionaltypischer Lebensräume auf, die sich durch abiotische Bedingungen sowie die biotische Ausstattung unterscheiden und oft durch extensive Nutzung entstanden sind. Es gilt, diese besonderen Lebensräume und damit auch die Artenvielfalt in regionaltypischer Ausstattung zu erhalten. Deshalb soll eine extensive, naturverträgliche Nutzung auf möglichst vielen Flächen etabliert werden. Jede Fläche, ob als naturschutzfachlich hochwertiger Lebensraum oder als kleiner Trittstein, leistet einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt. Wo möglich, sollen hochwertige Lebensräume rechtlich gesichert in den Biotopverbund aufgenommen werden.

Zuerst Bewahren, dann Schaffen von wertvollen Lebensräumen

Alte Lebensräume sind häufig besonders wertvoll, da die meisten Tier- und Pflanzenarten Jahre bis Jahrzehnte brauchen, um Flächen zu besiedeln. Auf stark eingreifende und aufwändige Neuanlagen sollte möglichst verzichtet werden. Daher sind folgende Prioritäten zu berücksichtigen:

Erste Priorität

Gewachsene Lebensräume (z. B. blumenbuntes, artenreiches Grünland, historische Nutzungsformen, Hutungen, Streuobstwiesen, alte Gehölze) müssen erhalten werden, insbesondere Flächen, die bereits einen naturschutzfachlichen Wert aufweisen. Vielfach sind alte, extensiv genutzte Lebensräume in der Landschaft nur noch als seltene Restflächen vorhanden. Hier sollten in der Regel keine Aufwertungen durchgeführt werden, da sie bereits wertvolle Lebensräume für seltene Arten sind; diese würden durch Maßnahmen vorübergehend oder sogar längerfristig beeinträchtigt werden. Gut geeignet wären daran angrenzende Flächen, die aufgewertet werden können.

Zweite Priorität

Für Flächen mit Verbesserungspotenzial ist die beste Option eine Entwicklung hin zu schützenswerten Lebensräumen durch Extensivierung. Zielführende Ansätze sind das Belassen von Insektenschutzstreifen oder die Umstellung auf Mahdnutzung mit Entnahme des Schnittguts. In vielen Fällen wandern Arten auch von alleine ein, wenn Naturverjüngung und Selbstbegrünung zugelassen werden. Zur Erhöhung der Artenvielfalt können auf Teilflächen Übertragungsverfahren eingesetzt oder Samenvorräte im Boden durch Grubbern aktiviert werden.

Dritte Priorität

Zur Neuanlage von Lebensräumen sind – wo immer möglich – Übertragungsverfahren (z. B. eBeetle®/Druschgut-/Mahdgut-/Rechgut-Übertragung) einzusetzen, da so regionaltypische Lebensräume geschaffen werden können. Falls dies nicht möglich ist, sollte gebietseigenes Saatgut ausgebracht werden. In der freien Landschaft ist der Einsatz gebietseigenen Saatgutes vorgeschrieben. Zusätzlich können in den meisten Fällen ergänzende Habitatstrukturen angelegt werden – beispielsweise offene Bodenstellen, Steinhaufen oder Totholz.

Besonderer Schutz gebietseigener Populationen

Alle Landschaften und Lebensräume weisen regionale, lokale und standörtliche Besonderheiten auf. Gebietseigene Populationen einheimischer Arten sind am besten an diese Besonderheiten angepasst und bilden gewachsene Lebensgemeinschaften mit anderen Organismen, darunter vielen Insektenarten. Biodiversität zu schützen bedeutet insbesondere auch, diese innerartliche Variabilität zu erhalten. Gebietsfremdes Saat- und Pflanzgut kann zu Einkreuzungen durch Pollenübertrag führen, mit potenziell negativen Folgen für bestehende wilde Populationen. Nach § 40 BNatSchG dürfen Gehölze und Saatgut in der freien Natur nur innerhalb ihrer Vorkommensgebiete ausgebracht werden. Wer Pflanzen außerhalb ihrer Vorkommensgebiete in der freien Natur ausbringen möchte, benötigt eine Genehmigung. Auch wenn außerhalb der freien Landschaft gebietsfremdes Saat- und Pflanzgut ausgebracht werden darf, sollte möglichst darauf verzichtet werden.
Nichteinheimische Arten sollten in Vorausschau auf künftige klimatische Bedingungen vorwiegend dem süd- oder südosteuropäischen Raum entstammen, von wo sie im Zuge des Klimawandels auch von alleine einwandern würden. (Potentiell) invasive Neophyten sind grundsätzlich von jeder Verwendung ausgeschlossen und sollten zurückgedrängt werden.

Eine sorgfältige Auswahl einheimischer Pflanzenarten und die Verwendung von gebietseigenem Saat- und Pflanzgut sind essentielle Grundsätze für eine insektenfreundliche Gestaltung.

Argumente für die Verwendung einheimischer Arten

Als „einheimisch“ gelten Arten, deren natürliches Verbreitungsgebiet mindestens teilweise innerhalb des Naturraums der Zielfläche liegt. In den Steckbriefen der Gefäßpflanzen Bayerns des Botanischen Informationsknotens Bayern (BIB) sind diese Pflanzen unter „Status in Bayern“ als „einheimisch“ gekennzeichnet. Je enger der Bezugsraum gefasst wird, desto besser wird auf die regionaltypischen Arten fokussiert.

  • Einheimische Arten haben sich gemeinsam mit unserer Fauna entwickelt. Besonders Insekten als Bestäuber oder Konsumenten sind oft auf eine oder wenige bestimmte Pflanzenarten angewiesen.
  • Zahlreiche kritische Pathogene und fast alle invasiven Neophyten wurden über den Ziergartenbau eingeschleppt. Durch die Verwendung einheimischer Arten werden die Risiken der Einschleppung und damit der Schädigung der Ökosysteme massiv reduziert.

Argumente für die Verwendung gebietseigenen Saat- und Pflanzgutes

Als „gebietseigen“ wird Saat- und Pflanzgut bezeichnet, wenn es von Populationen einheimischer Wildpflanzen innerhalb des Ursprungsgebietes stammt, in dem auch die Zielfläche liegt.

  • Gebietseigene Pflanzen sind besonders gut an ihren Standort und die regionalen oder lokalen Gegebenheiten angepasst. Sie wachsen zumeist besser an und der Ausfall ist deutlich geringer.
  • Durch gebietsfremdes Saat- und Pflanzgut besteht die Gefahr der Florenverfälschung. Dabei verändern gebietsfremde Pflanzen die genetische Ausstattung der lokalen Populationen, was zu einem – weitgehend irreversiblen – Verlust genetischer Diversität führen kann.
  • Auch innerhalb eines Ursprungsgebiets sollte darauf geachtet werden, „gebietseigene“ Arten nur dort auszubringen, wo sie natürlicherweise vorkommen. Dies verhindert die künstliche Verschiebung des natürlichen Verbreitungsgebietes.
  • Genetisch gestörte Populationen sind konkurrenzschwächer und haben ein höheres Aussterberisiko.
  • „Altes“ Grünland mit regionaltypischer Genausstattung ist stabiler als gebietsfremde Ansaaten. Ein vereinheitlichter Genpool kann weniger gut auf einen Klima- oder Nutzungswandel reagieren.
  • Genetische Diversität ist vor allem für die Zucht von künftigen Nutzpflanzen essentiell. Ein großflächig vereinheitlichter Wildpflanzen-Genpool gefährdet die Ernährungssicherheit und die Entwicklung neuer Arzneimittel.
  • Bestände mit gebietsfremder Genausstattung haben eine geringere Produktivität und reagieren deutlich sensitiver auf Extremwetterphasen.
  • Veränderungen in der Phänologie (Blütezeit) oder den Inhaltsstoffen der Pflanzen können die Interaktionen mit den davon abhängigen Tieren stören oder unterbrechen.
  • Das Ausbringen gebietsfremder Pflanzen in der freien Natur ist nur mit einer Genehmigung möglich (§ 40 BNatSchG).

Ursprungsgebiete für gebietseigenes Saat- und Pflanzgut in Bayern

Die Karte stellt die Gliederung Bayerns in Produktionsräume und Ursprungsgebiete für Wildpflanzen dar. Ursprungsgebiete (schwarze Ziffern) setzen Grenzen, innerhalb derer das im jeweiligen Gebiet gewonnene Saat- und Pflanzgut ausgebracht werden darf. Weil nicht in jedem Ursprungsgebiet entsprechende Betriebe vorhanden sind, darf Pflanzenmaterial innerhalb der größeren Produktionsräume (weiße Ziffern) vermehrt werden. Für die Ausbringung von Pflanzenmaterial gilt aber auch bei einer Vermehrung innerhalb des Produktionsraums die Bindung an das jeweilige Ursprungsgebiet.

Karte mit den Ursprungsgebieten für gebietsheimisches Saatgut in Bayern

Grafik: Nicole Sillner, Kartengrundlage: „Verordnung über das Inverkehrbringen von Saatgut von Erhaltungsmischungen (Erhaltungsmischungsverordnung) Anlage (zu § 2 Nummer 6 und 7) Ursprungsgebiete und Produktionsräume“

Biodiversitätsfreundliches Management

Lebensräume sollten prinzipiell biodiversitätsfreundlich und standortgerecht bewirtschaftet werden. Dies beinhaltet:

  • den Verzicht auf Pestizide und Torfprodukte
  • den Verzicht auf chemisch-synthetischen Dünger und nur sparsame und gezielte (nicht flächige) organische Düngung
  • die Vermeidung unnötiger und die insektenfreundliche Gestaltung notwendiger Beleuchtung
  • das stellenweise Belassen von Laubfall und das Einrichten eines Kompostkreislaufs
  • das Vermeiden ökologischer und baulicher Fallen (z. B. Treppen, Schächte und Tonnen ohne Ausstiegshilfen, nicht vogelsichere Fassaden, undurchlässige Zäune)
  • eine biodiversitätsfreundliche Mahd (nicht zu frühe Mahd, nicht zu häufig, kein Mulchen, Schnittgutentnahme, ausreichende Mindestschnitthöhe, Insektenschutz- und Überwinterungsstreifen) oder
  • eine biodiversitätsfreundliche extensive Beweidung mit minimiertem Antiparasitika-Einsatz (Antiparasitika schaden der Vielfalt dungbesiedelnder Insekten)
  • eine hohe Strukturvielfalt (z. B. durch Totholz, Sukzessionsflächen, Steinmauern, Wasserstellen, Rohboden, Gehölze)
  • ein vielfältiges, ganzjähriges Nahrungsangebot für Insekten, insbesondere mit früh- und spät-blühenden Arten (z. B. durch Teilflächenmahd, frühblühende Gehölze)

Diese Leitlinien wurden vom Referat Blühpakt und Referat 65 Biodiversität und Naturhaushalt des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz (StMUV) sowie dem Bayerischen Artenschutzzentrum am Landesamt für Umwelt (LfU) verfasst.

Weiterführende Informationen

 

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